Mutter verlor Zwillinge kurz nach Geburt: "Mein Erinnerungswald ist ein Ort zum Trauern"

Mutter verlor Zwillinge kurz nach Geburt: "Mein Erinnerungswald ist ein Ort zum Trauern"

Anna-Maria Böswald verwandelt persönliche Trauer in Hoffnung, indem sie Eltern, die ein Kind verloren haben, mit einem besonderen Erinnerungsort unterstützt.

Anna-Maria hilft Eltern mit gleichem Schicksal

Vögel zwitschern. Die Zweige der 148 Bäumchen auf der Streuobstwiese im Donau-Ries biegen sich sacht im Wind. "Wenn ich hier bin, treffe ich eigentlich immer Menschen", erzählt Anna-Maria Böswald (39). "Der Ort hat eine fast magische Anziehungskraft. Das sagen mir die Leute immer wieder, das kann man gar nicht richtig erklären." Lange bleiben vor allem Besucher, die zum ersten Mal hier sind, meist trotzdem nicht. Denn jeder der 148 Obstbäume steht für ein Kind, das nicht mehr lebt oder nie das Licht der Welt erblicken durfte. Manchmal sind es auch zwei. Ja, der Erinnerungswald ist ein Ort der Trauer. Aber auch der Begegnung, des Trostes und vor allem der Liebe. Die Idee dazu hatten Anna-Maria und ihr Mann Bernd nach dem Tod ihrer Zwillinge: "Sie kamen 2016 viel zu früh auf die Welt und starben nach wenigen Stunden in unseren Armen.“ Was danach passierte, hat die Eltern zusätzlich zum Verlust ihrer Kinder traumatisiert: „Keiner wusste, wie er mit uns umgehen sollte", erinnert sich Anna-Maria. "Es gab keine Beratung im Krankenhaus oder beim Bestatter, keine Unterstützung zu Hause."

Keiner gab den überforderten Eltern die Infos an die Hand, die sie gebraucht hätten: "Meine Kinder wurden zum Beispiel nackt beerdigt, da sie zu klein waren für die übliche Kleidung. Das finde ich bis heute ganz, ganz schlimm." Dass es Vereine gibt, die speziell für Frühchen nähen, wusste sie damals nicht. Damit es anderen Eltern nicht genauso ergeht, lässt sich die gelernte Erzieherin und Ergotherapeutin zur Sternenkind-Begleiterin weiterbilden und gründet mit ihrem Mann 2020 die "SternenEltern Schwaben e. V.". Der Verein leistet Akuthilfe und klärt unter www.erinnerungsreicharijon.de auf, welche Möglichkeiten Eltern haben. "Wir haben auch ein Forum, Särge für die Allerkleinsten, Selbsthilfe-Boxen, wir verleihen eine mobile Kühlmatte und Abdruckmaterial für Hände und Füßchen."

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Nach zwei Jahren ist die erste Wiese voller Bäume Zeitgleich mit dem Verein entsteht der erste Erinnerungswald. "Wir dürfen unsere Kinder nicht aufwachsen sehen, darum wollten wir Bäume pflanzen, die statt ihrer wachsen." Der Landrat unterstützt ihre Idee mit einer zwei Hektar großen Ausgleichsfläche und Fachpersonal. Und bald zeigt sich: Mit seiner Trauer ist das Paar nicht allein, schon nach zwei Jahren ist die erste Wiese voll. In Neu-Ulm entsteht ein zweites Erinnerungsreich, 2024 sollen weitere dazu kommen. Es sind die Ruhe, die Nähe zur Natur und die Ungezwungenheit, die Betroffene schätzen. "Außerdem sind hier im Gegensatz zum Friedhof nur Kinder", erklärt Anna-Maria. Ihr großer Sohn (damals 6) ist es auch, der aus den Namen seiner Brüder Arian und Joan den Namen "Arijon" für das Projekt der Böswalds erfindet. Damit es weitergehen kann, ist der Verein auf Spenden angewiesen. Doch vor allem wünscht sich Anna-Maria eines: "Schaut nicht weg. Nehmt die Eltern als Eltern wahr und werdet achtsamer."

Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe von DIE NEUE FRAU. Weitere spannende Geschichten liest du in der aktuellen DIE NEUE FRAU – Jede Woche neu am Kiosk.