
Max Martin: Musical-Arbeit war eine Herausforderung
Wer das Radio anmacht, kommt an ihm nicht vorbei: Max Martin (53) zählt seit den späten 1990er Jahren zu den kommerziell erfolgreichsten Songschreibern der Welt. Von dem gebürtigen Schweden stammen zahlreiche Hits von Musikgrößen wie Britney Spears, Backstreet Boys, Demi Lovato, Katy Perry, Taylor Swift oder Ariana Grande. Ein Best-off davon können sich Fans jetzt auch in Hamburg in dem Musical "& JULIA" ansehen. Wie er über die Show denkt und wie viel Arbeit eigentlich hinter einem Song steckt, hat er nun im interview verraten:
"& JULIA" ist dein erstes Musical. Wusstest du, was dich erwartet, als ihr mit der Arbeit begonnen habt?
Nein, das wusste ich nicht (lacht). Aber das war für mich Teil des Spaßes, nachdem ich doch schon so lange Musik mache und mich in meinem Hauptberuf ganz gut auskenne. Ich habe 1993 angefangen, und jetzt etwas ganz Neues auszuprobieren, super naiv an die Dinge heranzugehen und in diesen ganzen Meetings bestimmt auch immer wieder mal etwas sehr Dummes zu sagen, das war wirklich eine augenöffnende Erfahrung für mich. Wir haben uns wirklich auch Zeit genommen, die Sache richtig gut hinzubekommen.
In Hamburg wird das Stück jetzt zum ersten Mal nicht in englischer, sondern in deutscher Sprache aufgeführt. Kannst du auch auf Deutsch der Handlung folgen?
Ich bin Schwede, so ein bisschen bekomme ich schon mit. Ich spreche zwar kein Deutsch, aber ich kann ein paar Sachen verstehen. Und ich weiß natürlich, was auf der Bühne vor sich geht und was die einzelnen Personen sagen. Trotzdem ist es auf Deutsch sehr interessant zu sehen, wie universell sich das Stück anfühlt. Das Publikum reagiert genauso wie in den anderen Ländern. Das finde ich großartig. Überhaupt habe ich "& JULIA" sehr genossen.
Hast du je gedacht, dass ihr mit dem "& Juliet"-Projekt auch scheitern könntet?
Aber sicher. So viele Dinge bei einer solchen Produktion können ganz schrecklich schiefgehen. Zunächst einmal musst du die richtigen Leute finden. Das ist ungefähr so, als wenn du eine Band mit hundert Mitgliedern gründest. Du brauchst das passende Team, du brauchst das passende Buch, ein Musical ist wie eine Gleichung mit sehr vielen Variablen. Wie gesagt, ich kann es nur mit meiner Studioarbeit vergleichen, und dort habe ich definitiv mehr Kontrolle. Aber vielleicht ist es ja gerade gut gewesen, naiv zu sein und nicht mit so einer "Hey, auf geht’s"-Haltung an die Sachen heranzugehen.
Ist eine gesunde Naivität für einen Künstler nicht ohnehin von Vorteil?
Absolut! Ich habe gern das Gefühl, immer dazuzulernen. Ich mag es, mich ein klein wenig unwohl zu fühlen, denn dadurch entwickelst du dich weiter. Wenn du immer nur Dinge tust, bei denen du weißt „Das kann ich, hier habe ich Erfahrung, das absolviere ich locker im Leerlauf“, dann tendierst du dazu, nicht deine beste Arbeit abzuliefern. Aber wenn du dich traust, Risiken einzugehen, dann erlebst du häufig Dinge, die du nicht erlebt hättest, wenn du in deiner kleinen Blase geblieben wärst.
Max Martin: So läuft seine Arbeit wirklich ab
Fällt es dir eigentlich leicht oder schwer, einen herausragenden Popsong zu schreiben?
Lass es mich mal so ausdrücken: In der Kunst allgemein ist es üblicherweise schwerer als es aussieht, etwas scheinbar Simples zu erschaffen. Auch ich höre oft, wie leicht es doch sei, einen eingängigen Popsong zu schreiben. Vielleicht ist es das ja auch für einige Leute. Für mich ist es das nicht. Ich finde das richtig, richtig schwierig. Ich habe mein gesamtes Erwachsenenleben versucht, die Kunst des Songschreibens zu verstehen, und trotzdem fällt es mir nicht leichter. Etwas zu machen, was ein bisschen naiv, interessant, schlicht und brillant klingt, ist hart. Superhart.
Kann man das Schreiben eines Songs mit irgendetwas anderem vergleichen?
Ich versuche immer, in so einen Flow-Zustand zu kommen. Denn dann kann etwas sehr Kompliziertes plötzlich sehr einfach werden. Oder sich wenigstens einfach anfühlen. Wenn ich hingegen anfange, alles zu hinterfragen und zu überdenken, dann wird es zäh.
Wie erreichst du denn diesen Flow?
Die richtigen Leute, die richtige Umgebung, das mag alles helfen. Und doch muss das organisch geschehen, du kannst es nicht erzwingen. Bei der Arbeit an "& JULIA" erinnere ich mich an Momente, wo wir das Gefühl für Raum und Zeit verloren hatten, und sich alles fügte. Der Flow stellt sich also auch außerhalb des Songschreibens an. Der Weg zu diesem Musical war gewiss nicht immer frei von Hindernissen, aber wenn ich jetzt zurückblicke auf unsere ganzen Workshops, die wir über mehrere Jahre veranstalteten, bis hin zum fertigen Stück, so fühlt es sich doch so an, als wäre ich auf einer langen, wunderbaren Reise gewesen.
In vielen deiner Songs geht es ums Lachen, ums Tanzen und ums Weinen. Kann man das lernen oder trainieren, all diese Emotionen mit einem einzigen Lied hervorzurufen?
Mein Lieblingsgefühl, wenn ich einen Song höre, ist: Tanzen mit Tränen in den Augen. Vielleicht ist das so eine skandinavische Spezialität. Skandinavier sind immer ein bisschen melancholisch. Ich meine, hör‘ dir nur mal ABBA an, die für mich das perfekte Beispiel für schwedische Popmusik sind. Die Songs sind phantastisch, sie sind fröhlich, aber es schwingt auch immer so ein trauriges Element mit. Das ist mein Lieblingsgefühl beim Musikhören. Wenn mir gelingt, es festzuhalten, dann bin ich glücklich.
Deine Songs sorgen schon seit Jahrzehnten weltweit für Begeisterung. Was bedeuten sie dir?
Ich kann mit Stolz verkünden, dass ich nichts aus dem Studio rauslasse, was ich nicht liebe. Das ist sozusagen eine meiner Grundregeln. Ich tue ja immer mein Bestes, um sie dann echt zu lieben. Und ja, das ist dann tatsächlich so.
Max Martin: Er liebt jeden seiner Songs
Beim Komponieren weißt du manchmal vorher, wer das Lied singen wird, manchmal aber auch nicht. Macht das einen Unterschied für dich?
Zentral ist für mich der Song als solcher. Wer immer ihn auch singt, entscheidend ist, dass du hinter ihm stehst. Heutzutage arbeite ich meist enger mit der Künstlerin oder dem Künstler zusammen als früher, ich versuche, ihre Träume und Visionen zu realisieren. Früher war es eher so, dass man den Song fertig hatte und dann anbot.
Achtest du beim Komponieren eigentlich darauf, dass ein Song global ankommt und etwas weltweit Allgemeingültiges hat?
Ich denke, das hat mit der Tatsache zu tun, dass ich nicht aus England oder den USA komme, dass Englisch nicht meine Muttersprache ist. Die Songs, die wir zuhause im Radio hörten, das waren immer schon die größten Hits der Welt, ich würde annehmen, in Deutschland war das ähnlich. Und so hat sich womöglich im Unterbewusstsein mein Geschmack herausgebildet. Ich stehe einfach auf das Zeug, das universell und überall funktioniert.
Die meisten verbinden mit dir vermutlich "Hit Me Baby (One More Time)" von Britney Spears und "I Want It That Way" von den Backstreet Boys. Sind das auch Songs, die dir selbst besonders am Herzen liegen?
Ich liebe meine Songs wirklich alle. Warum manche von ihnen von besonders vielen Menschen gemocht werden, sollte man lieber die Menschen fragen. Ich kann die Frage nicht sehr gut beantworten.
Kannst du vorhersagen, welches deiner Lieder ein Top-Hit wird?
Nein. Es gibt Songs, von denen erwartest du eine Menge, und dann passiert nicht viel. Bei anderen denkst du, naja, das ist jetzt nichts für die Massen, und dann wird das der größte Hit überhaupt. Ich sitze bestimmt nicht im Studio, komponiere und denke "Na, das wird jetzt aber hundertprozentig ein dicker Hit".
Welche deiner Songs haben dich selbst überrascht?
Ehrlich, wenn ich einen Song fertig habe, dann widme ich mich dem nächsten und denke nicht mehr viel über den Vorherigen nach. Worum es mir geht, ist die Suche nach Augenblicken des Glücks im Studio. Dieses Gefühl ist immer wieder grandios. Was immer danach passiert, Erfolg oder auch nicht, berührt mich nicht mehr. Es gibt echt genug Leute, die sich um den kommerziellen Erfolg kümmern und sorgen. Ich selbst muss das nicht auch noch tun. Und ich liebe dieses Musical auch deshalb so, weil es etwas Direktes und Unmittelbares hat. Auf der Bühne geschieht etwas, und die Leute reagieren sofort. So etwas gibt es in meiner Arbeit sonst nicht, da ein Song, wenn ich ihn fertig habe, erst Monate später überhaupt rauskommt.
Trotzdem: Viele Songschreiber und Komponisten sind zwei, drei Jahre ganz oben, dann verschwinden sie wieder. Du stehst seit dreißig Jahren an der Spitze. Wie gelingt dir das?
Ich liebe einfach, was ich tue. In den allermeisten Dingen bin ich wirklich schlecht. Aber dieses eine Sache hier, die kann ich ziemlich gut (lacht). Mein Ziel ist es, etwas zu erschaffen, dass den Menschen für lange Zeit Freude bereitet. Etwas Schönes, an dem sie sich für den Rest ihres Lebens erfreuen können.
Verwendete Quelle: Interview von Stage-Entertainment