Ein Schlager der spaltet
In Schlagern geht es eigentlich um Harmonie und heile Welt. Doch 1966 erschien mit "Wir" ein Schlager, der eine einzige Kampfansage war, der nicht versöhnte, sondern spaltete. Den Text schrieb der bislang mit solchen Derbheiten nicht aufgefallene Fritz Rotter ("Wenn der weiße Flieder wieder blüht", "Veronika der Lenz ist da" oder "Heut war ich bei der Frieda – das tu ich morgen wieda"), die Musik stammt von Lothar Olias ( "Junge komm bald wieder", "Die Gitarre und das Meer"). Gesungen wurde "Wir" von dem größten Schlagerstar der damaligen Zeit: Freddy Quinn!
Freddy Quinns "Wir"
In dem Lied singt Freddy zu einem Beat-Rhythmus, der den Text vorantreibt, als ginge es darum, das Schlimmste zu verhindern:
Weiter hält Freddy der friedensbewegten Jugend der 1960er Jahre vor, dass sie als "lautstarke Meute" gar nicht an Frieden interessiert, sondern nur "maßlos geblendet"sei. Und natürlich, dass ihre langen Haare ungewaschen seien. Am Ende heißt es:
Das Lied war die B-Seite des nicht weniger rückwärtsgewandten, den Vietnam-Krieg romantisierenden "Eine Handvoll Reis". In der Biografie "Freddy Quinn: Ein unwahrscheinliches Leben" von Elmar Kraushaar wurden die Songs damals als "Anti-Protestlieder" beschrieben, die sich gegen kritische Studenten, Hippies und die Friedensbewegung richteten. Aus der Sicht von "Wir" waren das verwahrloste Jugendliche, langhaarige "Gammler" – ein beliebtes Schimpfwort zu der Zeit.
Gegen "Gammler" – für Zucht und Ordnung
Auf der positiven Seite stehen in dem Lied Werte wie Zucht und Ordnung, und Freddy Quinn bekam dafür Applaus von seinen älteren, konservativen Hörern. Der Schlager "Wir" sorgte für einen Skandal und wurde unter anderem in der "Zeit" und im "Spiegel" lebhaft diskutiert. Kein Wunder: Man stelle sich nur einmal vor, was heute los wäre, wenn ein Star vom Format einer Helene Fischer oder eines Roland Kaisers die gegen die protestierenden Kinder von "Fridays For Future" als faule "Gammler" besingen würden.
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Von den Toten Hosen gecovert
Viele Jahre später gestand Freddy Quinn, mit dem Lied "Wir" einen Fehler gemacht zu haben. 1999 sagte er dem "Zeit-Magazin":
Doch "Wir" markierte auch einen Knick in der Karriere von Freddy Quinn, von der er sich nie wieder so richtig erholt hatte. Auf etliche Nummer eins Hits folgte keiner mehr, wie der Blog "Deutsche Lieder" feststellt. Zeitweise wanderte der Schlagersänger wegen der Kritik in Deutschland in die USA aus. Heute lebt Freddy Quinn in einem Altersheim in der Nähe des Hamburger Hafens.
"Wir" ist sicher der umstrittenste Schlager aller Zeiten. Die Toten Hosen machten daraus 1987 einen Punksong:
Und für die sogenannten "Gammler" der 1960er Jahre gab es damals neben Freddy Quinns "Wir" noch den deutlich fröhlicheren Schlager "Gammelshake" von den Penny-Pipers, der auch heute noch ein Ohrwurm ist: