Günter Wallraff: Undercover in der Psychiatrie - Sein krassestes Projekt
Bei "Team Wallraff - Reporter undercover" schleust Günter Wallraff seine Mitarbeiter in Unternehmen ein, um Missstände in diesen aufzudecken. Im Gedächtnis geblieben dürfte dabei vor allem der Burger King-Skandal sein, bei dem Team Wallraff aufgedeckt hat, dass nicht alle als vegan deklarierten Produkte tatsächlich vegan sind. Doch das krasseste Projekt des Enthüllungsjournalisten ist nicht etwa der Eklat um den Fast-Food-Riesen, sondern ein ganz anderes: 2019 schickte Wallraff in "Hinter geschlossenen Türen" seine Mitarbeiter getarnt als Praktikanten in verschiedene deutsche Psychiatrien. 2,74 Millionen Zuschauer sahen zu, als die Journalisten in den Einrichtungen auf "menschenverachtende Zustände" gestoßen sind, wie es in der Sendung damals hieß.
Die Patienten seien unzureichend betreut, lange Zeit alleine gelassen, von den Pflegern sediert oder tagelang ans Bett fixiert worden. In einer Einrichtung soll es sogar einen "Deeskalationsraum" gegeben haben, in den die Bewohner teilweise mehrere Tage eingesperrt worden sein sollen, wenn sie "was angestellt" haben- ohne Toilette, Fenster und Notknopf. Es wurden Bilder gezeigt von einer Urinlache, die laut einem Wallraff-Mitarbeiter auch nach drei Stunden noch nicht weggeputzt worden sei. Experten kommentierten die gezeigten Szenen und den "extrem unfreundlichen Ton des Umgangs", der eine "weitere Entmündigung" der Patienten dargestellt habe. Auf einer überbelegten Akut-Station in Frankfurt Höchst, wo die Patienten ruhiggestellt werden, hat eine Visite des Arztes gerade einmal 16 Sekunden gedauert, was ein Facharzt als "psychiatrische Steinzeit" betitelt hat.
Krankenschwestern verklagen "Team Wallraff"
Zwei Berliner Krankenschwestern der Vivantes-Psychiatrie hatten nach der Ausstrahlung der Wallraff-Folge "Hinter geschlossenen Türen" gegen die Fernsehfirma geklagt, die für RTL "Team Wallraff" produziert. Die beiden Angestellten waren in der Folge verpixelt bei der Arbeit gezeigt worden, sollen für Bekannte jedoch trotzdem erkennbar gewesen sein, was laut Gerichtsbeschluss ihr Persönlichkeitsrecht verletzt habe. Eine der Pflegerinnen soll in den Aufnahmen einem Patienten, der sich geweigert hat, seine Medikamente einzunehmen, Pillen unter sein Essen gemischt haben. Dies habe sie laut ihrem Anwalt mit "Wissen und Wollen der Mutter des Patienten, die gleichzeitig seine Betreuerin ist" getan, da das Medikament lebensnotwendig sei und der Patient dieses nur mit "Schluckhilfe", also im Essen, einnehmen kann. Das Landgericht in Leipzig entschied zugunsten der Krankenschwestern, die Firma legte jedoch Rechtsmittel ein.
Die Zivilrichter ließen sogar verlauten, dass sich die Journalisten womöglich sogar strafbar gemacht haben: Laut ihnen soll es die angeblichen Missstände nie gegeben haben, weshalb ein Verstoß gegen das nach Paragraf 201 Strafgesetzbuch geregelte Verbot heimlicher Tonaufnahmen infrage kommen würde. Laut der Staatsanwaltschaft Koblenz soll das Verfahren Anfang 2021 jedoch eingestellt worden sein.
Das hat sich nach der "Wallraff"-Ausstrahlung in den Psychiatrien geändert
Die Ausstrahlung der "Team Wallraff"-Reportage zu den Kliniken löste einen Aufschrei in der Republik aus. Für viele war klar: Es muss sich etwas ändern. Auch in der Akutpsychiatrie in Frankfurt Höchst, die in dem Bericht als die schlimmste alle besuchten Kliniken dargestellt worden war, war man sich dem bewusst. Klinikleiterin Dorothea Dreizehnter hatte rund ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung im September 2019 auf einer Pressekonferenz erklärt: "Wir machen das Buch nicht zu. Wir werden unseren Weg auch weitergehen und zwar losgelöst vom Wallraff-Bericht. Wir nehmen vielmehr diese Themen als Herausforderung wahr, es wird von vielen auch als Chance begriffen." Zwölf Situationen waren in der Reportage gezeigt worden, die daraufhin mit einem Ampelsystem bewertet worden waren: Grün für Entwarnung, gelb für akute Themen, die angepasst werden müssen und rot für dramatische Zustände, die sofort verbessert werden sollen. "Von den zwölf Themen wurden fünf mit Grün, drei mit Gelb und vier mit Rot bewertet", so der externe Berater und Psychiater Hans Joachim Kirschenbauer. Zu den mit Rot bewerteten Szenarien zählen der Mangel an Therapieangeboten, die zu geringe Gartennutzung für die Patienten, die Stationsüberbelegung und die viel zu kurze Chefarzt-Visite von 16 Sekunden. Was die vielfach diskutierte Fixierungsszene eines Patienten angeht, sah er jedoch keinen Handlungsbedarf: "Nach intensiver Aktenstudie, auch nach dem Kontakt mit den Mitarbeitern und während meiner Tätigkeit, auch mit dem Kontakt mit dem Patienten, ist diese Einordnung, für mich, sehr deutlich in einem grünen Bereich."
Ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung im März 2019 habe sich im September des Jahres bereits eine Veränderung gezeigt, so Kirschbauer:"Teilweise sind Empfehlungen jetzt schon, aufgrund der Bestandsaufnahme entstanden. Und teilweise hat die Klinik bereits reagiert und Dinge im Einzelnen angefangen oder sogar umgesetzt." Bei den Untersuchungen seien vor allem Probleme aufgefallen, die mit Strukturen und der Prozessqualität zu tun hätten. Dadurch sollen räumliche Rahmenbedingungen verbessert und Abläufe angepasst werden. "Wir haben einige Themen bereits bearbeitet: Die Verbesserung der räumlichen Situationen auf der betroffenen Station. Wir haben sehr viel getan um das Thema 'Deeskalation', den Umgang mit aggressiven Patienten, auf noch breiteren, noch sicheren Füßen zu stellen", so der Berater.
Verwendete Quellen: RTL, Spiegel, Tagesspiegel, Süddeutsche, Übermedien