ADHS bei Erwachsenen: Meine Welt dreht sich anders

ADHS bei Erwachsenen: Meine Welt dreht sich anders

ADHS bei Erwachsenen ist gar nicht so selten: Die Diagnose bekam Angelina Boerger erst spät. "Mein Gehirn tickt nicht falsch – nur anders", sagt sie. Und das findet sie vollkommen okay und macht damit auf ihrem Instagram-Account "Kirmes im Kopf" anderen Mut.

Emma Watson soll schon als Kind mit ADHS diagnostiziert worden sein.© Getty Images

ADHS im Erwachsenenalter: "Die Antwort auf viele Fragen"

"Es ist eine Genugtuung, eine Chance, die Antwort auf viele Fragen“, erinnert sich Angelina Boerger (32) an den Moment, als sie die Diagnose ADHS erhielt. Für sie nicht das Ende, sondern der Anfang. Da ist sie bereits 29 – für diesen Befund ungewöhnlich 'alt'. Denn die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, gilt immer noch hauptsächlich als Kinder- und Jugendkrankheit. Absolut nicht mehr zeitgemäß, wie die freie Journalistin direkt klarstellt: 

Das Bild des kindlichen und überwiegend männlichen ‚Zappelphilipps‘ hat endgültig ausgedient.

Alleine in Deutschland sind etwa 2,5 Millionen Erwachsene betroffen. Die tatsächliche Zahl liegt wohl höher, da Faktoren wie z.B. fehlende Unterlagen aus der Kindheit eine Diagnose für Erwachsene massiv erschweren. 

Die ADHS hat Angelinas Alltag fest im Griff: "Ich habe nicht nur ab und zu mal einzelne Symptome. Ich habe sie IMMER. Und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche.“ Konkret bedeutet das: Sie schiebt Dinge auf, sie verpasst den Bus und vergisst wichtige Termine, weil mindestens 40 Gedanken gleichzeitig in ihrem Kopf herumschwirren. Das macht etwa eine Entscheidung im Restaurant fast unmöglich: "Worauf haben wir Lust? Süßlich oder lieber scharf? Mal was Neues wagen oder das vom letzten Mal? Oh, das hier klingt gut! Könnte das dann zu viel sein? Hoffentlich ist das nicht so eine Miniportion. Was hat mein Gegenüber jetzt bestellt? Hätte ich das auch nehmen sollen? Und was soll ich überhaupt dazu trinken?“ 

Dass sie irgendwie anders tickt, war ihr schon länger klar. Als Kind konnte sie nie richtig still sitzen, in der Schule war sie ständig abgelenkt und unaufmerksam: "Auch wenn ich damals noch nicht wusste, dass ich ADHS habe, lassen sich die Symptome jetzt rückblickend auch in meiner Kindheit und Jugend sehr gut erkennen.“ 

Die offizielle Diagnose sollte aber erst Jahre später und auch nur Dank eines riesengroßen Zufalls erfolgen. Als sie bei einer Talkshow im Publikum sitzt, berichtet eine junge Frau von ihrer ADHS im Erwachsenenalter – Angelina erkennt sich in allen Punkten wieder. "Rückblickend weiß ich: Das war ein Schlüsselmoment für mein ganzes Leben. Mein fehlendes Puzzleteil.“ 

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ADHS - langer Weg zur Diagnose

Etliche Tests, Arztbesuche und haufenweise Papierkram später hatte sie es schwarz auf weiß. 

Ich war voller Emotionen, allen voran ein Gefühl: Erleichterung. Endlich hatte ich den Beweis, dass ich nicht einfach zu faul, anstrengend, oder dumm war. Die Diagnose hilft mir zu verstehen, dass vieles darin begründet liegt, dass mein Gehirn etwas anders funktioniert. Sie zeigt mir, wer ich wirklich bin. Ich darf endlich ICH sein!

Dieses Gefühl sollen auch andere erleben können. Angelina will aufklären und die Forschung in Deutschland weiter voranbringen. Es ist längst überfällig: "Es wird Zeit, dass wir auch die Vielfältigkeit unserer Hirne erforschen, begreifen und akzeptieren. Ich glaube daran, dass wir alle gemeinsam etwas verändern können."

Kinderkrankheit, Modediagnose: Was ist ADHS wirklich?

Lange galt ADHS (AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung ) als eine Kinderkrankheit, die sich im Alter wieder verwächst. Diese Annahme ist allerdings längst widerlegt worden und viele Betroffene benötigen auch im Erwachsenenalter noch gezielte Hilfen, beispielsweise in Form von Therapien oder Medikamenten. 

Was ist charakteristisch für ADHS? 

Es gibt drei Hauptsymptome, die auf eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung deuten: Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität. Allerdings können die einzelnen Symptome unterschiedlich stark ausgeprägt sein und müssen nicht immer alle gleichzeitig auftreten. Außerdem können sich die Symptome nach der Kindheit verändern oder auch nachlassen. 

Wie finde ich heraus, ob es wirklich ADHS ist?

Unaufmerksamkeit oder Unruhe müssen nicht zwangsläufig ADHS bedeuten. Ob wirklich eine krankhafte Störung vorliegt, kann nur durch eine genaue Diagnostik und Untersuchungen festgestellt werden. Hier finden Sie Hilfe: 

▸ Erste Anlaufstelle bei einem Verdacht sind Spezialambulanzen ▸ Infos für Betroffene und Angehörige bietet das Portal www.adhs.info

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