Vorwürfe gegen Rammstein und Till Lindemann: Musiker und Promis distanzieren sich, Unternehmen springen ab
Die Vorwürfe gegen Rammstein und vor allem Frontmann Till Lindemann (60) sind das Thema der Stunde. Zuletzt brach Band-Schlagzeuger Christoph Schneider (57) via Instagram mit einem ausführlichen Statement sein Schweigen. Und während vereinzelte Promis wie Verena Kerth (41) und Lindemanns Ex-Freundin Sophia Thomalla (33) Till Lindemann den Rücken stärkten, äußern sich andere - wie etwa Katja Krasavice (26), Senna Gammour (43) oder MontanaBlack alles andere als wohlwollend. Zahlreiche Promis wie Nora Tschirner oder Carolin Kebekus rufen zu Spenden für die anwaltlich kontaktierten mutmaßlich geschädigten Frauen auf. Jan Böhmermann und Olli Schulz prophezeien in ihrem Podcast "Fest und flauschig" gar das Ende der Band.
Persönlich äußerte sich Till Lindemann bislang nicht. Seine beauftragte Anwaltskanzlei "Schertz Bergmann" veröffentlichte am 8. Juni jedoch eine Pressemitteilung, in denen vor allem die Anschuldigungen rund um K.O.-Tropfen und Co. als "ausnahmslos unwahr" bezeichnet wurden.
Während viele Fans zwar zu ihren Idolen halten und die Band sogar mit gestiegenen Album-Verkäufen profitiert, springen die Unternehmen reihenweise ab. Die Plattenfirma Universal Music legte die Zusammenarbeit auf Eis, der NDR schnitt Rammstein-Keyboarder Flake aus "Inas Nacht", der Verlag "Kiepenhauer & Witsch" beendete die Zusammenarbeit, Rossmann stoppte den Online-Verkauf des Rammstein-Parfüms und auch GGPoker und LikeMeat wollen von Lindemann als Werbegesicht nichts mehr wissen.
Jan Müller kritisiert: "Warum ist erlaubt, was gefällt?"
Das alles kommt reichlich spät, findet allerdings ein alter Hase im deutschen Musikgeschäft: Jan Müller von der Band Tocotronic klagt Band-Anhänger und Unternehmen an, Rammstein zu spät hinterfragt zu haben. In seiner "Reflektor"-Kolumne im "Musikexpress" stellt er die Frage: "Warum ist erlaubt, was gefällt?"
Der Bassist und Musik-Podcast-Macher ist überzeugt davon, dass sich etliche, die nun reihenweise vom Rammstein-Zug abspringen, schon längst die Frage hätten stellen sollen, wen und was sie da genau unterstützen.
Ist Erfolg so anziehend, dass er grundlegend alles interessant und attraktiv macht? Warum hat der renommierte Verlag Kiepenhauer und Witsch das Vergewaltigungsgedicht des Sängers veröffentlicht? Warum hat die Drogeriekette Rosmann nicht der Band empfohlen, ihr Parfum lieber in einem Sex-Shop zu vermarkten? Warum hat die Plattenfirma Universal keinen Anstoß an den sadistischen Texten genommen? Warum ist erlaubt, was gefällt? Waren die Ergüsse der zugleich veröffentlichten Deutschrapper noch widerlicher, sodass dies gar nicht mehr bemerkt wurde?,
legt der 52-Jährige den Finger in die Wunde.
"Rammstein ist eine Werbeagentur für sich selbst, bewaffnet mit riesigen Verstärkern und Pyrotechnik"
Müller ist Gründungsmitglied der deutschen Indie-Band Tocotronic, die seit 30 Jahren zu den Lieblingen der deutschen Musik-Presse zählen und mit dem Album "Schall & Wahn" (2010) Platz 1 der deutschen Album-Charts erreichten. Neben einer monatlichen "Reflektor"-Kolumne im "Musikexpress" spricht er im gleichnamigen Podcast mit MusikerInnen über Werk und Leben.
Rammstein irritierte den 52-Jährigen bereits in den 90ern in der Zeit beim gleichen Label "Motor Music" mit seinem "geschmacklosen" Namen, der "angeblich" nichts mit dem Ort zu tun habe, "wo bei einem Flugzeugunglück im Jahr 1988 siebzig Menschen ums Leben kamen." Genau darum sei es der Band von Anfang an gegangen: "Tabus brechen, täuschen, provozieren und die Kritiker als humorlos und piefig diskreditieren", so Müller. Zwar erfreute sich Rammstein auch in Teilen seines Freundeskreises "immer größerer Beliebtheit" und "natürlich ist diese Band nicht rechts", so der Künstler. Dennoch findet er deutliche Worte, was er von Lindemann und Co. denkt:
Die Band ist nichts weiter als eine Werbeagentur für sich selbst, bewaffnet mit riesigen Verstärkern und Pyrotechnik. Songtexte und Shows, die immer die ironische Hintertür offenlassen, machen diese Band trotz aller zur Schau gestellter Muskelprotzigkeit zu einer haltungslosen Puddingmasse.
"Ich empfehle euch, hört einfach etwas anderes"
Viele fragen sich, ob durch die Musikbranche nun ein ähnlicher Ruck gehen und sich tatsächlich etwas ändern wird wie in Hollywood nach den "Me Too"-Vorwürfen gegen Harvey Weinstein. Auch Jan Müller stellt abschließend grundlegende Fragen, die die Zukunft beantworten wird, hat aber auch eine klare Aufforderung für die Fans:
Wird sich etwas ändern? Wird sich die Band auflösen? Oder wird sie weiter mit ihren Anwälten drohen? Werden die Fans ihre Nibelungentreue aufgeben? Werden sich Menschen schämen? Ich empfehle euch, hört einfach etwas anderes. Es gibt so viel wundervolle Musik, von anständigen Menschen.
Verwendete Quellen: Musikexpress